Grußwort von Hojjatoleslam Dr. S. M. N. Taghavi, Islamisches Zentrum Hamburg

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen. Im Namen des Erha-benen, des Schöpfers von Schönheit, Liebe und Freundlichkeit, des einen Gottes, der den Menschen mit Gedanken und Vernunftkraft gesegnet hat und ihn als das beste Geschöpf Seiner Schöpfung erschaffen hat.

Zu Beginn dieses Treffens möchte ich alle unsere Gäste, insbesondere die Vertreter des Christentums und des Judentums in diesem Gotteshaus herzlich willkommen heißen. Die Präsenz der abrahamitischen Religionen an diesem Ort beweist, dass ungeachtet der natürlichen Unterschiede zwi-schen den Religionen die Gläubigen viele Dinge gemeinsam haben, was sich

in Freundschaft und Einheit unter den Anhängern dieser Religionen manifestiert, Einheit in Frieden und innere Ruhe und friedliche Koexistenz und mit einem Wort gesagt: Einheit in der Spiritualität, weil diese Freundschaft und dieser innere Seelenfriede zu Spiritualität führt.

Das Islamische Zentrum Hamburg versucht im Rahmen seiner Möglichkei-ten diese Wirklichkeit zu reflektieren, dass alle Religionen eine Botschaft haben, und dass es keine Gründe gibt für Kontroversen und Trennung. Wir alle, gleich ob wir Muslime, Christen oder Juden sind, sind von unserem jeweils eigenen Glauben überzeugt, aber ungeachtet dessen glauben wir an eine Wahrheit und wir sprechen auch von einer Wahrheit.

Wir wollen an diesen zwei Tagen allen Besuchern und Gästen dieses Ge-fühl der Einheit und Freundschaft vermitteln, in der Hoffnung, dass eines Tages eine geeinte Gesellschaft existieren wird, in der alle Mitglieder glei-chermaßen partizipieren und in der es zwischen den einzelnen Menschen kein Misstrauen und keine Verurteilungen geben wird.

Weihbischof Dr. H.-J. Jaschke, Erzbistum Hamburg:

Religiöse und kulturelle Wurzeln zu schützen und zu pflegen ist die Auf-gabe aller. Zum Verlust der nationalen Heimat darf nicht noch der Verlust der kulturellen und der religiösen Heimat kommen. Hier haben die Kir-chen, die Moscheegemeinden, die Immigranten, eine besondere Verant-wortung. Die jüdische Gemeinde in Hamburg steht seit Jahren vor ähnli-chen Herausforderungen, seitdem viele Juden aus der ehemaligen Sowjet-union hierher kommen. Auch die Muslime, die aus verschiedenen Län-dern und Traditionen kommen, haben eine große Aufgabe zur Integration und zur Beheimatung der Menschen in ihrer Tradition und in der Religion. Ich darf aber auch die Christen nennen. Als katholischer Bischof bin ich in besonderer Weise verantwortlich für die fremdsprachigen Katholiken. Wir haben große Gemeinden aus Portugal, Spanien, Kroatien, eine kleine aus Ungarn, wir haben Ghanesen und Koreaner unter uns und dazu kommen die vielen evangelischen christlichen Gruppen aus der ganzen Welt. Also Religion vor Ort ist ein Ort der Integration, wo Menschen in ihrem Glau-ben beheimatet sind, sich aber gleichzeitig in unsere gemeinsame Gesell-schaft integrieren.

Staat und Religion haben aus christlicher Sicht in ganz besonderer Weise unterschiedliche Aufgaben und sind deshalb in Deutschland unterschieden, im Prinzip auch getrennt. Wir nennen das den säkularen Staat. Aber die Religion hat für die Gesellschaft unverzichtbare öffentliche Aufgaben im Staat. Insbesondere die Kirchen nehmen in diesem Land diese Aufgabe zusammen mit staatlichen Institutionen zum Teil, in Kindergärten, Schu-len, Krankenhäusern, Beratungseinrichtungen usw. wahr, so dass der Staat subsidiär zu dem hinzukommt, was andere gesellschaftliche Gruppen ma-chen. Dieses Miteinander von Politik und Kirche, von Staat und Religion, muss geprägt sein von wechselseitigem Respekt im Blick auf die je eige-nen und die gemeinsamen Aufgaben. Die Religion integriert die Menschen zunächst einmal in die Gemeinschaft derer, die sich zu Gott bekennen, die aber gleichzeitig in einer konkreten Gesellschaft leben, mit Menschen, die anders glauben oder aber die gar nicht glauben. Religionen stehen für die geistigen Grundlagen der Gesellschaft, die sie nicht selber hervorbringen und ohne die sie nicht existieren können. So trägt die Religion den Staat mit und steht ihm nicht als alternative Sozialgestalt gegenüber.

Für die Integration der Migranten kommt es entscheidend darauf an, dass die Gemeinden hier vorbehaltlos und auch mit innerer Überzeugung dazu gelangen, dass sie unsere Verfassung, unsere gesellschaftliche und staatli-che Ordnung mittragen. Wir wissen, dass vielen Zuwanderern gerade aus islamisch geprägten Ländern unsere Gesellschaftsform fremd ist und dass sie sich an Vielem stoßen. Aber sie können nur dann wirklich aus vollem Herzen Bürger unseres Landes werden, wenn sie einerseits ihre religiöse Identität bewahren und die Religionsgemeinschaft auch als verantwortli-chen Teil der Gesellschaft erleben. Beides gelingt. Ein Gegenüber oder ein Nebenher der islamischen Glaubensgemeinschaft zur Gesellschaft darf es nicht geben. Wir sprechen seit Jahren von Parallelgesellschaften, die nicht gut sind, die keinem Menschen helfen, und die dem Ganzen unseres Ge-meinwesens auch nicht bekommen.

Wir stehen in ganz besonderer Weise im Dialog über das Verhältnis von Religion und Gesellschaft, von Kirche und Staat. Wenn sich in Deutsch-land ein Christ und ein Muslim begegnen, dann ist neben den verschiede-nen Glaubensüberzeugungen immer auch der religionsneutrale Rechtsstaat bzw. die säkular strukturierte Gesellschaft präsent. Während Deutschland einerseits Teil der abendländischen, d. h. vom Christentum einschließlich seiner jüdischen Wurzeln geprägten Zivilisation ist, in welcher ein Muslim jahrhundertelang im besten Fall ein in Freundschaft verbundener Gast sein konnte, trägt andererseits unsere heutige Staats- und Gesellschaftsordnung Sorge dafür, dass ein Muslim nicht weniger Rechte hat als ein Christ, dass Muslime und Christen sich frei und gleichberechtigt begegnen können. Anders ausgedrückt ist es nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die staatliche säkulare begründete Rechtsordnung, die den Rechtsstatus eines Menschen bei uns definiert. Christen haben gelernt, die fundamentale Wertentscheidung der modernen westlichen Verfassungsordnungen und des Grundgesetzes für die Religionsfreiheit zu respektieren. Die Katholi-sche Kirche hat 1965 auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Religi-onsfreiheit als ein in der Würde des Menschen gründendes Menschenrecht anerkannt. Und so ist es auf der einen Seite verständlich und im wohlver-standenen Sinne auch notwendig, dass Christen in der Begegnung mit Muslimen für den Gedankenaustausch eintreten, dass Christen in islami-schen Ländern im gleichen Maß Religionsfreiheit genießen sollen wie Muslime bei uns. Andererseits würde es unserer Verfassungsordnung und ebenso dem christlichen Verständnis von Religionsfreiheit widersprechen, wollte man Muslimen in Deutschland das Recht auf Ausübung ihrer Reli-gion einschränken oder verwehren.

Christen kommt, wenn wir an Kirche und Staat, Religionen und Gesell-schaft denken, die Aufgabe zu, durch ihr Engagement in Staat und Gesell-schaft ebenso wie in ihrer Begegnung mit Muslimen dafür einzutreten und besser verständlich zu machen, dass Säkularität nicht Gottlosigkeit bedeu-tet. Nicht zuletzt in der immer wieder geführten Debatte um den Gottesbe-zug in der Präambel des Grundgesetzes im Bewusstsein und der Verant-wortung vor Gott und den Menschen oder um die Frage nach der europäi-schen Verfassung, wo wir den Gottesbezug nicht aufnehmen konnten, nicht zuletzt darin zeigt sich, dass wir wohl den säkularen Staat, die Unterscheidung von Religion und Staat zum ganz wichtigen Thema machen, aber nicht den gottlosen Staat, den Staat, der ohne geistige Grundlagen, ohne eine religiöse Kultur ist. Hier werden Christen in besonderer Weise eintreten, natürlich mit den Mitteln, die uns gegeben sind, indem wir politisch kämpfen, indem wir christliche Abgeordnete, christliche Bewegungen, christliche Gruppierungen in der Politik auch unterstützen für die Grundlagen, für Ehe, für Familie, eine religiöse Kultur und für eine Feiertagskultur und für vieles andere mehr. Ich denke hier werden wir auch mit Christen und Muslimen und anderen Religionsvertretern gemeinsam vieles finden können.

Aber es gibt auch komplizierte und harte Fragen, vielleicht kommen wir in der Diskussion darauf. Ein Thema, das sehr brisant ist in unserer Gesellschaft ist etwa die Anerkennung der Rechte von Homosexuellen. Die katholische Kirche hält daran fest, dass Homosexualität etwas ist, was nicht in der normalen Ordnung des Menschseins gründet. Es gibt die Ausnahmen, und denen muss ein Staat gerecht werden. Wenn wir mit Muslimen darüber sprechen, halten die in der Regel die staatlichen Regelungen, die wir hier in diesem Bereich schaffen, für etwas, was eher einem gottlosen Staat entspricht. Darüber müssten wir vielleicht noch etwas diskutieren. Ich war vor einigen Wochen mit muslimischen Imamen aus dem Kosovo und anderen Ländern zusammen, die gerade über diese Frage eine ganz lange und intensive Diskussion anstrengten. Also, Sie merken, hier gibt es, wenn es um moralische Grundwerte geht, die in unserer Gesellschaft wichtig sind, schon Punkte, an denen wir miteinander sehr intensiv diskutieren müssen und wohl auch voneinander lernen müssen. Die Religion muss etwas nicht gut heißen, aber sie muss akzeptieren, dass der Staat für bestimmte Lebensformen auch rechtliche Regelungen schafft.

Integration heißt nicht Assimilation; die religiösen Wurzeln und kul-turellen Gegebenheiten der Zuwanderer sollen erhalten und gepflegt wer-den. Wenn diese anderen Lebenserfahrungen dialogisch in unsere Gesellschaft eingebracht werden, sind sie von großem Wert für uns. Die Religion kann zu Integration beitragen, wenn sie die Grundlagen unserer Gesellschaft bejaht und den Zuwanderern hilft, unsere Gesellschaftsform zu verstehen und anzunehmen. So können sie erfahren, wie derselbe Glaube, muslimischer Glaube, jüdischer Glaube, christlicher Glaube, portugiesisch oder spanisch oder italienisch geprägt in Deutschland zwar anders als im Herkunftsland, aber dennoch authentisch gelebt werden kann.

Einen Punkt darf ich in aller Freundschaft aber auch Klarheit auch in diesem Zusammenhang ansprechen. Meine Damen und Herren, liebe Ge-schwister! Eine Belastung für die Integration der verschiedenen Reli-gionen bei uns bilden politische Gegebenheiten. Leider Gottes ist Religion, sei es christliche oder auch nichtchristliche Religion, nie frei von den politischen Gegebenheiten, in denen wir uns befinden. Ich erinnere heute, wenn Sie die Nachrichten hören, an die bevorstehenden Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU. Das ist streng genommen kein religiöses Thema, das ist ein politisches Thema. Aber es wirkt sich natürlich belastend aus auf große Teile der Muslime, auf die Moscheegemeinden, die dem Ditib verbunden sind, und die aus der Türkei kommen. Hier gibt es also immer wieder gemischte Situationen. Politiker machen das Wort, in einzelnen Ländern werden auch entsprechende Stimmungen geschürt, dafür oder dagegen. Es werden Ängste geweckt, bei Deutschen, bei Franzosen. Parteien betreiben ihr Spiel und ich weiß auch nicht, ob ein Ministerpräsident klug beraten ist, wenn er immer wieder wiederholt, Europa sei kein Christenclub. Das sind auch keine förderlichen, den Frieden und die Integration förderlichen Schlagzeilen. Darauf möchte ich doch hinweisen. Wir alle dürfen uns als Religionen nicht instrumentalisieren lassen von Politik. Religion geht es immer schlecht, wenn andere uns gebrauchen, oder wenn wir uns missbrauchen lassen. Die Christen haben da auch lange und leidvolle Geschichten und Erfahrungen hinter sich, dass wissen alle Kundigen.

Und ich darf ein Zweites nennen, In der Großlage, in der wir weltweit stehen, mit den Religionen, können wir natürlich auch das Kapitel Gewalt und Terror im Namen von Religionen nicht ausklammern. Ich erlebe gera-de bei Ihnen immer wieder, bei den Imamen und bei den Ayatollahs, dass sie sich sehr entscheiden distanzieren von Terror und Gewalt, und das tut gut. Aber wir müssen das auch weltweit immer wieder fordern von Vertretern anderer Religionen. Auch wenn Muslime keinen Papst haben, aber ich möchte mir doch von führenden Muslimen auf der ganzen Welt immer wieder auch deutlich eine Distanzierung von Gewalt und Terror wünschen, und nicht nur wünschen, ich muss sie fordern. Terror im Namen der Religion macht uns alle kaputt. Bali, das sind keine religiösen Menschen, aber irgendwie taucht „islamiyya“ im Kontext auf; vor zwei Tagen passiert, vor drei Jahren in Bali. Also hier geschieht ein Missbrauch der Religion und der Reinheit der Religionen und um der Ehre des Namens Gottes willen müssen wir diesen Missbrauch von Gottes Namen in aller Härte und aller Schärfe immer wieder verurteilen.

Ich komme zum Schluss. Ich sage sehr entschieden und deutlich und bin, so denke ich, mit der Mehrheit von Ihnen einig, dass die Religionen ein ganz großer Wert in der Menschengesellschaft zukommt. Ohne Religion verlieren wir unsere Heimat als Menschen, unsere Einwurzelung, ohne Religionen werden wir ortlos und ohne Religionen ist alles für uns möglich und erlaubt. Wir brauchen Religion, wir brauchen Moscheen, wir brauchen Kirchengemeinden, jüdische Gemeinden. Das möchte ich in aller Entschiedenheit betonen. Und das Schöne an Religionen ist auch, dass sie doch nicht an eine politische Nation gebunden sind. Ich bin Deutscher, und ich bin Katholik. Aber als Katholik bin ich nicht automatisch Deutscher. Und ich muss eine politische Nation nicht mit meinem Glauben verknüpfen. Die Stärke der Religionen ist doch gerade, dass sie über national sein kann in der globalen Welt, in der modernen Welt. Das ist etwas Wunderbares. Wir sind global players als religiöse Menschen und nicht player für irgendeine Land oder für irgendeine Politik. Verbünden wir uns, liebe Geschwister, als religiöse Menschen, die versuchen, mehr können wir nicht, Gott die Ehre zu geben und so dem Menschen seine Würde zu erhalten.

Pastor Dr. H.-C. Goßmann, Beauftragter für christlich-islamischen Dialog der Nordelbischen Ev.-luth. Kirche

Fragen wir nach der Rolle der Religionen bei der Verwirklichung der Integration, so werden wir zunächst einmal konstatieren müssen, dass Religionen die Verwirklichung der Integration sowohl fördern als auch behindern können. Ich denke es ist ganz ähnlich wie bei der entspre-chenden Frage in Bezug auf den Frieden. Religionen können den Frieden fördern. Ich erinnere hier nur an das Projekt Weltethos, das ja ganz stark verbunden ist mit dem Namen Hans Küng. Aber wenn Religionen funda-mentalistisch missverstanden werden, dann können sie auch den Frieden ganz massiv gefährden.

Wichtig für eine begründete Meinung in Bezug auf die Frage wie jetzt das Verhältnis von Religionen zum Prozess der Integration ist, besteht für mich zunächst einmal darin, dass wir uns darüber verständigen, was wir unter dem Begriff Integration verstehen. Weihbischof Dr. Jaschke hat ja schon darauf hingewiesen, dass zwei Gegenbegriffe in der deutschsprachigen Diskussion prägend sind. Integration auf der einen Seite, Assimilation auf der anderen Seite.

Assimilation so verstanden, dass die eigene religiöse und kulturelle Identi-tät aufgegeben werden muss als Voraussetzung für Integration; wobei man sich natürlich fragen kann, wie weit kann dann überhaupt von einer echten Integration die Rede sein, während umgekehrt bei dem Begriff der Integration als Gegenbegriff zum Begriff der Assimilation die Beibehaltung der eigenen religiösen und kulturellen Identität Vorausset-zung ist.

Die Schwierigkeit ist nur: Wenn wir mit diesen beiden Begriffen ope-rieren, Integration auf der einen und Assimilation auf der anderen Seite, dann kommen wir sehr schnell an den Punkt, wo wir bemerken, dass andere Menschen dieselben Begriffe aber anders, auch in einem ganz an-deren Sinne verwenden.

So gibt es durchaus in der soziologischen Diskussion ein Verständnis von Assimilation, das von dem eben skizzierten Verständnis deutlich abweicht. Ein Verständnis, das durchaus nicht davon ausgeht, dass die eigene Identi-tät aufgegeben werden muss, um Bestandteil einer Gesellschaft werden zu können.

Um dieser damit skizzierten Gefahr von Missverständnissen begegnen zu können, werde ich einmal den Versuch unternehmen, mich nicht auf die beiden Fremdworte Integration und Assimilation zurückzuziehen, sondern zu schauen, wie eigentlich deutschsprachige Äquivalente aussehen können? Und da würde ich den Begriff der Integration übersetzen wollen als Einordnung in diese Gesellschaft. Nicht Unterordnung, nicht Überordnung, sondern Einordnung. Diese Einordnung setzt voraus, dass diejenige bzw. derjenige als der man ist, einen Platz in der Gesellschaft bekommt so wie er ist. Dass, um es konkret zu sagen, Menschen islami-schen Glaubens als Muslime und Musliminnen ihren Ort in der bundesdeutschen Gesellschaft bekommen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn die jeweils anderen so wahrgenommen werden, wie sie wirklich sind.

Dies ist beim Mensch islamischen Glaubens jedoch oft nicht der Fall. Das kann man sehr deutlich sehen an dem pauschalen Generalverdacht unter dem Muslime und Musliminnen seit dem 11. September 2001 in diesem Land, und nicht nur in diesem Land, stehen. Und dieser Generalverdacht ist noch einmal sehr deutlich verstärkt worden seit den Anschlägen in Madrid und London.

Wir haben eben in der Diskussion darüber gesprochen, wie weit eigentlich muslimische Stimmen in unserer Medienlandschaft zu Gehör kommen. Ich erinnere mich, dass ganz wenige Tage nach dem 11.09.2001 die Hambur-ger Schura eine – wie ich persönlich fand – sehr klare, sehr deutliche Dis-tanzierung in Form einer Pressemitteilung verfasst hat. Das Problem war nur, dass diese Presseerklärung zwar an sämtliche Presseagenturen ging, aber nirgendwo veröffentlicht worden ist.

Da können wir natürlich nicht absehen von der Frage, wie schaut es eigentlich mit der Vertretung von muslimischen Gruppierungen in Medienräten aus? Wenn wir so lautstark fordern, dass sie sich auf jeden Fall distanzieren müssen, dann ist es auch wichtig, die Distanzierungen, die wirklich da sind, auch wahrzunehmen.

Aber das Problem, dass Begegnung verfehlt werden kann, wenn man den anderen nicht in seinem Selbstverständnis wahrnimmt, diese Gefahr, die besteht auch dann, wenn man so richtig mit bestem Willen wohlmeinend ist, wenn man nur das Beste will. Ich denke daran, dass von christlicher Seite Muslime oftmals als Fremde bezeichnet werden und worden sind, oder nach wie vor werden. Der Hintergrund dieser Bezeichnung besteht darin, dass man sich den Fremden zuzuwenden hat, dass man sie nicht allein zu lassen hat, sondern dass man sie zu unterstützen hat. Und dementsprechend ist es so, dass viele Vertreter und Vertreterinnen der Kirche sagen, dass diese biblische Aufforderung jetzt sehr konkret umzusetzen ist in Bezug auf Menschen islamischen Glaubens, die in Deutschland leben, damit der Prozess der Ausgrenzung endlich beendet wird. Nur: diese innerchristliche durch die biblische Sprache geprägte Sicht, nimmt letztlich auch die Menschen islamischen Glaubens in ihrem Selbstverständnis überhaupt nicht ernst, denn die fühlen sich nach jahrzehntelangem Leben bei uns alles andere als Fremde.

Und dies hat zum Glück schon vor zwölf Jahren aber damals auch zu ei-nem sehr heftigen Konflikt geführt, als es darum ging, in München den deutschen evangelischen Kirchentag durchzuführen. 1993 hat es kurz zu-vor vom damaligen Ratsvorsitzenden die Aufforderung gegeben, man müsse sich nun endlich einmal den Fremden, den Muslimen in dieser Ge-sellschaft zu wenden. Daraufhin hat ein großer islamischer Dachverband sehr kurzfristig die Mitwirkung am Kirchentag abgesagt, mit der Begrün-dung, wenn ihr uns jetzt immer noch als Fremde bezeichnet, dann sehen wir keine gemeinsame Basis mehr, am Kirchentag mitzuwirken. Ich denke auch dieser Konflikt zeigt, wie wichtig es ist, die anderen in ihrem Selbst-verständnis wirklich wahr- und ernst zu nehmen. Und er zeigt die Notwendigkeit, miteinander zu reden und nicht nur übereinander.

Dies ist aber oft alles andere als gegeben. Ich möchte es an einem uns allen bekannten Beispiel einmal aufführen. Bei der Kopftuchdebatte wurde so ziemlich mit sämtlichen nur denkbaren Gruppierungen in unserer Gesellschaft gesprochen, mit einer Ausnahme: die Gruppe Kopftuchtragender muslimischer Frauen ist meiner Wahrnehmung nach so gut wie gar nicht zu Wort gekommen, und nur ganz selten sind Menschen auf die Idee gekommen, mal Vertreterinnen dieser Gruppe anzusprechen und zu fragen. Dass im Endeffekt die Debatte nicht sonderlich fruchtbar ausging, hängt ja vielleicht auch daran.

Der innergesellschaftliche Dialog mit dem jeweils anderen fordert also die Integration im Sinne einer Einordnung in die Gesellschaft.

Ich möchte jetzt zu einem zweiten Punkt kommen, den ich ganz gerne entfalten kann. Ich möchte nämlich fragen, wieweit der Prozess der Integ-ration die Ausdrucksformen von Religion, von Religionen, von Reli-giosität prägt, und ich möchte dabei die These entfalten, dass die Integration von religiösen Menschen die Formen verändert, mit denen der Religion Ausdruck verliehen wird. In der christlichen Theologie hat sich dafür ein Fachterminus herausgebildet, der Fachterminus der „Inkulturation“. Der Begriff selbst ist ein Neologismus und eine theologische Adaption des in der Kulturanthropologie beheimateten Begriffs Enkulturation, der jene Vorgänge umschreibt, wo vorgegebenes kulturelles Traditionsgut durch Erziehung und Sozialisation internalisiert wird. Die kleine sprachliche Veränderung, von Enkulturation zu Inkulturation orientiert sich bewusst an dem Begriff der Inkarnation. Soweit Sundermeier. Was hier mit dem Begriff Inkulturation hinsichtlich der christlichen Religion beschrieben wird, gilt entsprechend auch für andere Religionen und somit auch für die islamische Religion. Auch sie muss äußere Formen annehmen, die der jeweiligen kulturellen Prägung der Musliminnen und Muslime entsprechen. Auch die islamische Religion muss in der Kultur heimisch werden, in der die Musliminnen und Muslime leben.

Solange der Islam in Deutschland in erster Linie eine Religion von Aus-länderinnen und Ausländern war, hat sich diese Frage nicht gestellt. Die Formen der religiösen praxis pietatis, die in der jeweiligen Heimat, also für ca. drei Viertel der unter uns lebenden Muslime die Türkei, praktiziert wurden, diese Formen wurden unverändert übernommen. Als sich jedoch abzeichnete, dass die türkischen Gastarbeiter nicht in ihre Heimat zurück-kehren würden, und ihre oft bereits in Deutschland geborenen Kinder die Ghettoexistenz aufzugeben begannen, die viele Gastarbeiter gepflegt ha-ben, begann mit der Integration von Musliminnen und Muslimen der so genannten 2. Generation die Inkulturation des Islam in die deutsche Kultur. Der deutsche Muslim P. Schütt beschreibt in seinem Beitrag auf dem Weg zu einem deutschen Islam wie dieser Prozess konkrete Formen annimmt. So legt er u. a. die Bedeutung der deutschen Sprache für in Deutschland lebende Muslime dar, thematisiert die mindestens 25 islamischen Hochschulgemeinden, die in den letzten zehn Jahren in Deutschland gegründet wurden und beschreibt den Prozess der Emanzipation der Moscheegemeinden vom Einfluss der jeweiligen Heimatländer und deren religiösen Instanzen. Damit das Ganze jetzt nicht zu harmonisch klingt, möchte ich auch darauf hinweisen, dass Inkulturationsprozesse lebendige Prozesse sind, die durchaus auch Wider-stände auslösen können. Die Frage, wo die Grenzen der Legitimität der Inkulturation der je eigenen Religion verortet sind, finden oft sehr unterschiedliche, z. T. auch gegensätzliche Antworten. Aber derartige Auseinandersetzungen über die Fragen, wo die Grenzen der Legitimität der Inkulturation der je eigenen Religion liegen, sind ein Bestandteil des Inkulturationsprozesses selbst. Diese Auseinandersetzungen machen deutlich, dass Religionen keine statischen, sondern dynamische und sehr lebendige Größen sind, über deren Ausdrucksformen sich die Angehörigen jeder Religion immer wieder neu verständigen müssen. Denn keine Religion begegnet losgelöst von den Menschen, die ihr angehören, in einem gleichsam luftleeren Raum, sondern immer in Form der praxis pietatis, der Menschen, die in ihr ihre religiöse Heimat haben, und diese Menschen leben in einem konkreten kulturellen Kontext. Religion, so meine These, begegnet demnach immer nur in inkulturierter Form. In dem Maße, in dem sich Muslime und Musliminnen in die deutsche Gesellschaft integrieren, inkulturiert sich der Islam in die deutsche Kultur. Der Begriff der Inkulturation in Bezug auf den Islam als Religion erweist sich dabei als angemessenes Äquivalent zu dem Begriff der Integration in Bezug auf Menschen islamischen Glaubens. Bezeichnen beide Begriffe doch jeweils einen Prozess, der von Gegenseitigkeit geprägt ist.

Die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft hierzulande ist gefordert, diesen Inkulturationsprozess wahrzunehmen und zu würdigen und den Islam hierzulande nicht mehr pauschal als Religion von Ausländern und Ausländerininnen zu betrachten und zu bezeichnen. Ich komme zum Schluss und darf auf meine eingangs genannte These zurückkommen, dass Religionen die Integration sowohl fördern als auch behindern können. Eine lebendige dynamische Religion, die Formen findet, die ihrem jeweiligen Kontext entsprechen, fördert die Integration. Dementsprechend ist es auf der anderen Seite so, dass eine verkrustete Religion, die sich in der Praktizierung und Tradierung überkommener äußerer Formen erschöpft, die Integration behindert, weil sie zur Fremdheit ihrer Angehörigen innerhalb der Gesellschaft beiträgt.

Prof. Dr. F. M. Kath, Jüdische Gemeinde Hamburg

Ich möchte mit einer These beginnen. Die These lautet: es sind nicht die Religionen, die zur Integration beitragen, sondern es sind die Menschen, die sich bemühen, miteinander in Frieden zu leben. Das bedarf einer Erklärung. Alle großen Religionen, ich nenne sie hier in chronologischer Reihenfolge: der Hinduismus, das Judentum, der Buddhismus, der Taoismus, das Christentum und der Islam entstanden, damit das Leben ihrer Menschen einen Sinn bekam. Alle Religionen wollten und wollen, dass Menschen friedlich miteinander leben, jeder nach seiner Art und Weise. Aber nicht nur mit den eigenen Menschen sollte man friedlich leben, sondern auch mit denjenigen, die zunächst als Fremde aufge-nommen sind. Im 2. Buch Mose steht: geschrieben: „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken, denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, dieweil ihr seid gewesen Fremdlinge im Ägypterland.“

In den Büchern der abrahamitischen Religionen finden sich auch Passagen, die von Leuten in unverantwortlicher Weise negativ interpretiert werden können, um andere und sogar eigene Menschen zu verunglimpfen. Das letzte Mal im vergangenen Jahr, als ich hier war, zitierte ich das Beispiel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Solches tun nicht Religionen. Solches tun Menschen, Leute, die anderen Schaden zufügen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Diese sind gegen Integration. Wir haben bereits Definitionen von Integration und den Unterschied zwischen Integration und Assimilation gelernt, so dass wir jetzt wissen, worüber wir sprechen. Wir sprechen über Integration. Offensichtlich ist das aber ein sehr schwie-riges Geschäft. Mitunter sogar in der eigenen Gesellschaft. Schon in den Sprüchen der Väter heißt es: „Hillel sagte: ‚Bewerte deinen Nächsten nicht, bis du an seine Stelle gekommen bist.“ Shakespeare hat in Romeo und Julia die ganze Tragik der Zersplitterung von Gesellschaft aufgezeigt. Beide Familien waren doch christlich, und ihre Religion sagte doch: „Lie-be deinen Nächsten wie dich selbst.“ So steht es in Matthäus 19,19 ge-schrieben, und im 3. Buch Moses, 19,18 und 19,34 können sie das auch schon lesen. Zwar sagte schon Jesaja vor 2700 Jahren: „Denn von Zion wird die Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem…Da wer-den die Völker ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.“ (Jes. 2,4). Sicher gibt es auch in den Büchern des Christentums und des Islams Aussagen ähnlichen Inhalts. Aber die Menschen lernen langsam, sehr langsam. Unsere Geschichte des Mittelalters bis in die Neu-zeit hinein lehrt uns das. Und noch eines lehrt sie uns: es sind nicht die Religionen, deretwegen mit Schwertern gegen andere vorgegangen wurde. Es sind die Institutionen, in denen Leute Menschen veranlassen, grausam gegen andere zu sein.

Moses Mendelssohn kann wohl als einer der ersten aufgeklärten Juden bezeichnet werden. Und für seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing mag er das Vorbild zu seinem Nathan der Weise gewesen sein. In der berühm-ten Ringparabel verglich Lessing die Ringe mit den drei abrahamitischen Religionen. Diejenigen, die die Ringe besitzen, sollten sie mit Zuversicht tragen, Vorurteile überwinden, dem Nächsten in Liebe begegnen und mit Wohltun, Verträglichkeit und Toleranz die Wahrheit der Ringe an den Tag bringen.

Die europäische Aufklärung, die mit den Namen Voltaire, Diderot und anderen verbunden ist und auch die jüdische Aufklärung einleitete, führte zur Emanzipation der Juden in Europa. Sie schritt im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts voran. Nicht plötzlich geschah es, langsam, sehr langsam, entwickelte sie sich. Der neoorthodoxe Rabbiner Samson Raphael Hirsch ist beispielsweise zu nennen, der wohl einer der ersten war, die Thora (das sind die fünf Bücher Mose) ins Deutsche zu übersetzen und ausführlich zu erklären. Das war 1867. Die heutige Neuauflage von 1996 umfasst fünf Bände). Menschen wie Gabriel Riesser, Heinrich Heine, Hermann Cohn, Albert Einstein, Franz Rosenzweig und Martin Buber waren Persönlichkeiten, die sich vollständig in die deutsche Gesellschaft integriert hatten. Sie haben als aufgeklärte Juden in je ihren Feldern gewirkt und hatten großen Anteil an der Entwicklung des kulturellen Lebens in Deutschland. Aber es ging nicht immer reibungslos. 1879 prägte Wilhelm Marr den politischen Begriff des Antisemitismus für das jahrhunderte alte Phänomen des Antijudaismus’. Und so erzählt man, wenn beispielsweise Einstein in Frankreich geschmäht werden sollte, sagte man, er sei ein Deutscher. Wenn man das in Deutschland tat, sagte man, er sei ein Jude. Und dann kam das verbrecherische Regime von Adolf Hitler im Jahre 1933 zur Macht. Schon zur Wahl 1932 sagten die Linksparteien: Wählt ihr Hitler, wählt ihr Krieg, und Hitler wurde gewählt und der Krieg ist gekommen. Schon nach sechs Jahren, und er wurde verloren. Zudem wurden im deutschen Namen in den letzten zwölf Jahren die größten Verbrechen begangen, die die Welt je gesehen hat. Sechs Millionen Juden wurden ermordet, nur weil sie Juden waren. Und Hunderttausende Polen, Sinti und Roma, Zeugen Jehova, Kommunisten und andere wurden umgebracht, weil die Nationalsozialisten sie als Feinde betrachteten, die vernichtet werden mussten. Hat sich nach dieser Katastrophe etwas verändert? Ja. Es hat sich etwas verändert. Fast 2000 Jahre gab es in der Katholischen Kirche als Institution fast nur antijüdische Polemik und nichtchristliches Handeln. Papst Johannes XXIII. war der erste Papst, der im Zweiten Vati-kanischen Konzil 1965 die Haltung der katholischen Kirche einer kriti-schen Revision unterziehen ließ. Das Ergebnis war die Erklärung Nostra Aestate zu deutsch „in unserer Zeit“. Damit veränderte die katholische Kirche ihre Haltung den nichtchristlichen Religionen allgemein gegenüber. Im Artikel 4 geht es dabei um die Haltung gegenüber den Juden und dem Judentum. Das machte es dann auch möglich, dass Papst Johannes Paul II. im Jahre 2000 an der Klagemauer in Jerusalem beten konnte. Meine Worte verdeutlichen, dass hier in Deutschland für Juden eine besondere Situation existiert. Nur für Juden? Hier in Deutschland wohnen etwa 100000 Juden. Das sagt aber so noch gar nichts, bedenkt man, dass es in Deutschland schon Juden gab, bevor die Germanen, sprich die Deutschen, hier wohnten. Ein jüdisches Tauchbad aus dem Jahre 300 n. Chr. belegt das. Es wurde in Köln entdeckt.

Aber über drei Millionen Muslime leben in Deutschland. Ihre Geschichte ist anders als die der Juden. Aber auch für sie gibt es Schwierigkeiten. Diese wollen wir hier nicht gesellschaftlich diskutieren, vielmehr sollten die Menschen, die sich unseren drei Religionen zugehörig fühlen, das ihrige tun, integrativ zu wirken. Von jüdischer Seite gibt es da keine Schwierigkeiten. Es gibt eine Festlegung im Talmud, die etwa bedeutet: Lebst du in einem fremden Lande, lebe auch nach seinen Regeln.

Dr. M. Biehl, Studienleiter der Missionsakademie an der Universität Hamburg

Vielen Dank für die Einladung und für die Offenheit, dass wir hier über diese Themen auch in der Kontroverse diskutieren können.

Die Institution an der ich arbeite, ist eine christliche Institution, sie ist eine Stiftung, und heißt offiziell Missionsakademie an der Universität Ham-burg. Sie hat einmal tatsächlich Missionare akademisch weitergebildet, die ausgesandt wurden, um Menschen zu Christus zu bekehrten. Unsere Auf-gabe heute ist aber ein etwas anderes Missionsverständnis, und wir haben zwei Punkte, an denen ich das sehr schön deutlich machen kann. Das eine ist, wir haben eine Reihe von Theologen und Theologinnen aus Ländern des so genannten Südens, aus Afrika, einigen Ländern Lateinamerikas, auch aus Asien, die eine theologische Dissertation an der Universität Ham-burg machen, und die sich immer sehr dafür interessieren, was eigentlich die Situation ihrer Kirchen, ihrer Religionsgemeinschaft im Gegenüber zu anderen Religionsgemeinschaften unter den Bedingungen z. B. in Tansa-nia, Südkorea oder anderen Ländern Afrikas und Asiens ist. Und sie ma-chen dabei auch immer wieder Entdeckungen, die auch für uns sehr inte-ressant und bereichernd sind, nämlich die Frage, wie sich auch unser eige-ner Glaube, der christliche, dort eingenistet hat, missionarisch verbreitet hat, welches schwierige Erbe das auch z. T. ist mit der Geschichte des Kolonialismus, mit der Geschichte der ideologischen Überfremdung, mit der Geschichte auch der schlechten Koalition zwischen Macht und Religi-on, die die Geschichte unserer Religion ja auch stark kennzeichnet. Ebenso aber wie die spannende Frage: Wie ist das heute in multireligiösen Situati-onen, wo Christen nicht notwendigerweise die Mehrheit sind, welche Er-fahrungen machen sie da? Und das zweite ist, dass wir in unserem Haus auch so ein Stück religiöse Alphabetisierungsarbeit betreiben, indem wir immer wieder mit Gruppen in den interreligiösen Dialog hineingehen und ganz speziell des interreligiösen Dialogs mit Musliminnen und Muslimen, und dadurch häufiger mit Gruppen hier in diesem Haus sehr gastlich auf-genommen worden sind und sehr interessante und intensive Gespräche haben führen können. Und insofern nochmals herzlichen Dank.

Wenn man versucht, diese Erfahrung, die ich hier einzubringen versuche, etwas plakativ auf den Nenner zu bringen, dann scheint mir, dass wir ler-nen können aus der Geschichte des christlichen Glaubens wie er sich in der Welt verbreitet hat, dass die Inkulturation, von der Dr. Goßmann gespro-chen hat, wahrscheinlich dort immer gelungen ist, wo sich die religiöse Einstellung von Menschen und Gemeinschaften mit der sozialen Situation und mit der Kultur verbinden konnte. Und dass sie dort furchtbar explosiv ist, wo Menschen über ihre religiösen Ansichten und Glaubensansichten in Verteilungskämpfe um soziale Stellung, um Hierarchie, um Macht, um Ökonomie, verwickelt werden und wo dann, Gott sei’s geklagt, meine Zunft, die Geistlichen, oft genug Wortreder derjenigen geworden sind, die da sagen uns und die. Das ist, glaube ich, auch die Ambivalenz, die Gefahr des Fanatismus. In unserer Religion – ich spreche jetzt für Christen und Christinnen – liegt sowohl die Macht zum Guten wie auch die Macht zum Bösen, wobei das Gute oftmals durch die Übersteigerung sich gegen andere wendet und darin eben auch negative Folgen für andere haben kann. Das erscheint mir eine sehr wichtige Einsicht aus dieser Geschichte. Was bedeutet das jetzt, wenn man versucht, diese Lehren für Deutschland kurz zu reflektieren, wo der christliche Glaube immer noch eine Mehrheitsreligion ist, obwohl der Einfluss schwindet, was viele Gründe hat, die wir hier im Einzelnen nicht nachvollziehen können. Ich habe versucht, mir zu vergegenwärtigen, wie z. B. in der Bundesrepublik durch den Beauftragten für Integration wie auch in städtischen Kontexten über das Thema Integration nachgedacht wird. Es ist ganz intensiv eine Frage nach den Partizipationsmöglichkeiten. Es ist eine Frage nach dem Zugang von Bildungs- und Ausbildungschancen, Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu gutem Wohnraum, Frage von Partizipation am politischen und gesellschaftlichen Leben. Und das ist nicht nur eine Frage der Sprache, sondern es ist auch eine Frage an die Mehrheitsgesellschaft, inwiefern sie da auch bereit ist, solche Partizipationsmöglichkeiten freizugeben? Also eine Frage an die Mehrheitsgesellschaft, inwieweit sie sich selbst als eine Gesellschaft begreift, in der Menschen, die von anderswoher gekommen sind, und das ja teilweise vor 40, 50 Jahren, eben aufgenommen werden und Zugang zu diesen besagten Ressourcen haben. Es gab 2000 eine Ta-gung in Berlin und Bonn, Integration in Städten und Gemeinden, in der dann z. B. gesagt worden ist, Integration kann nur freiwillig erfolgen. Das ist der eine Punkt. Und sie erfordert eine Leistung von allen Beteiligten, die zusammenleben wollen, und sie erfordert damit auch um dieses Fremdwort mal zu benutzen, die Interkulturalität von allen. Das bedeutet z. B., dass daraus Programme entstanden sind, dass städtische Einrichtungen ein interkulturelles Kompetenztraining machen. Das Interessante ist, dass das Wort Religion darin überhaupt nicht vorkommt. Warum ist das so? Ich vermute, dass die Menschen, die diese Studien machen, von den Paradigma herkommen, dass Religion Teil der Kultur ist. D. h. sie gehört zu der Identität des Andersseins, des Fremdseins, des Zugewandertseins und ist kein Faktor der Integration.

Also der Blickwinkel der Interkulturalität auf Religion wäre geradezu, dass die Religion sich verändern muss, damit sie durch die Menschen, die sie leben, und die diesem Glauben anhängen und ihn in ihrem alltäglichen Leben umsetzen wollen, eben auch diesem im Prozess unterzogen wird. Und wir kommen hier an eine spannende Ambivalenz, die darin besteht, dass wir im interreligiösen Dialog manchmal vielleicht eine eigentümliche Idee haben. Ich bin da sehr engagiert und finde das ein ganz wichtiges Element der Verständigung und des Miteinander ins Gespräch Kommens und des Schaffens von gemeinsamen Lebensmöglichkeiten. Aber vielleicht müssen wir erst einmal verstehen, was ist ein Muslim oder eine Muslima? Was glauben die? Was ist ein Christ? Und ich erfahre immer wieder, dass viele muslimische Bekannte mir sagen: Wenn du wirklich mal wissen willst, was Christsein bedeutet, dann findest du ganz viele, die keine Aus-kunft geben können. Sie wissen es einfach nicht, sie haben keine Ahnung davon und sie können mir nicht erklären, wie das jetzt mit Jesus und der Trinität ist, und sie können mir auch nicht viel sagen zur Bibel. Sie können mir auch nicht viel sagen zum Alltagsleben eines Christen, weil das ihr Leben weitgehend überhaupt nicht mehr prägt. D. h. was passiert hier? Es gibt so eine Zuschreibung: Wir reden miteinander, weil wir einen unterschiedlichen Glauben haben. Aber wir beziehen uns damit so eng auf den Glauben, dass wir ihn abheben vom Zusammenleben in der Gesellschaft. Es geht weitgehend in vielen Fällen erst einmal darum, sich kennen zu lernen und wahrzunehmen.

D. h. die Frage nach der Rolle von religiösen Ansichten in der Integration darf auf der einen Seite nicht unterschätzt werden, weil sie nicht nur eine Frage der Kultur ist, sondern gerade die Kraft hat, kulturelle Grenzen zu transzendieren. Der Islam, das Christentum, auch das Judentum haben die Globalisierung gelebt, bevor man das Wort überhaupt kannte. Und es wäre nicht so, dass wir nicht weltweit verbreitet wären, in sehr unterschiedlichen Spielformen, wenn nicht diese Kraft, das Kulturelle durch die Universalität zu transzendieren, wie Dr. Khamehi gesagt hat, nicht da wäre. Wir machen aber auch die spannende Erfahrung, dass es vielleicht für mich mit einem Muslim türkischer Abstammung, der in Deutschland studiert hat und hier seinen Glauben lebt, einfacher ist, über Religion zu reden als z. B. als Lutheraner mit einem Lutheraner, der in Tansania aufgewachsen ist, weil sein Glaube sich so verbunden hat mit der Situation seines Landes und seiner Kultur, dass mir das relativ fremd ist, obwohl wir der gleichen Glaubensgemeinschaft angehören. Und ich habe den Eindruck, dass das auch eine Erfahrung ist, die Muslime machen. Gerade in so einem Zentrum, wo Menschen aus den unterschiedlichsten Gegenden kommen, treten auch viele Unterschiede auf, gibt es Auslegungsdiskussionen, und die Verknüpfung des Glaubens, des Universellen, mit der jeweiligen Kultur ist unterschiedlich ausgeprägt. Das miteinander ins Gespräch zu bringen, kann meiner Meinung nach helfen, weil wie hier ja richtig gesagt wurde, Menschen einander begegnen, die diesen Glauben leben, und nicht Religionssysteme oder heilige Bücher; die können nicht miteinander reden, sondern nur die Menschen, die darin lesen, die für sich diese Lehren ernst nehmen und sie in ihrem Leben umsetzen wollen.

Was könnte das jetzt noch einmal versucht konkret zu machen, bedeuten? Ich glaube, dass wir diese Gedanken über die Integration in der Frage der Partizipationsmöglichkei-ten ernst nehmen müssen und sie z. B. im interreligiösen Dialog auch bedenken müssen. Wir sind hier noch eine Mehrheitskirche als evangelische Kirche im Norden mit einem relativ starken gesellschaftlichen Einfluss. Mir fällt im Dialog oft auf, dass wir natürlich die Fähigkeit haben, Leute zu bezahlen, deren Beruf Religion ist, und dass somit im Dialog auch Menschen zur Verfügung stehen, die ihre Zeit dafür opfern können. In anderen Gemeinschaften ist das sehr viel schwieriger. Das sind oft Menschen, die einen ganz normalen Beruf haben, und die nebenbei, durch Engagement und Freiwilligkeit sich diesem Studium und auch diesem Dialog widmen. Das bringt schon ein gewisses Ungleichgewicht, obwohl wir als religiöse Menschen auf Augenhöhe miteinander reden.

Aber die gesellschaftliche Mächtigkeit unterscheidet sich. Und ich glaube, da müssten gerade wir noch einmal kritisch bedenken, was das für den Dialog bedeutet. Des Weiteren glaube ich, dass natürlich in einer Gesell-schaft wie der unseren, in der die christlichen Kirchen eine vergleichsweise gesicherte Stellung haben, das auch Auswirkungen auf das Gespräch und die Frage der Integration hat. Es ist eben nicht selbstver-ständlich für andere Religionsgemeinschaften, was für uns selbstverständlich ist. Und ich denke da z. B. an Punkte wie Krankenhausseelsorge, Gefängnisseelsorge. Einem Geistlichen der christlichen Kirchen wird es in der Regel relativ leicht gemacht, in diese Institutionen hineinzukommen und dort Seelsorge auszuüben.

Das ist für die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften, speziell etwa auch die Muslime, nicht genau so selbstverständlich. Es bedarf einer anderen Legitimation, um einem Geistlichen des Islams z. B. in einem Krankenhaus oder einem Gefängnis Zutritt zu verschaffen, um mit Men-schen darin zu sprechen, die den geistlichen Beistand suchen. Insofern würde ich sagen, dass wenn wir es schaffen, in der Zukunft den Dialog auch an diesen Stellen zu intensivieren und diese Fragen auch mit einzube-ziehen, wie es stellenweise durchaus bereits geschieht, dann wird der inter-religiöse Dialog noch einmal mehr Möglichkeiten haben, die Rolle von Menschen, die an Gott glauben, in dieser Gesellschaft bei der Verwirkli-chung von Gleichberechtigung und Partizipation weiter voranzubringen.

Das ist hier wichtig, weil wir in Deutschland eben doch – das sage ich auch als Theologe – in einer säkularen Gesellschaft leben. Wir leben in einer pluralen säkularen Gesellschaft, in der auch Kirche trotz ihres gesellschaftlichen Ansehens erst immer noch einmal beweisen muss, dass sie auch etwas Gehaltvolles zu den Themen zu sagen hat. Das ist nicht selbstverständlich, wir werden nicht zu allen Themen gefragt.

Aber insofern müssen wir uns klar sein, dass in dieser Gesellschaft, in der wir miteinander leben und in der wir gemeinsam an einem besseren Zu-sammenleben stricken wollen, diese Frage eben behandeln müssen, näm-lich das unterschiedliche Verständnis von Gleichberechtigung, die Fragen, wie wir in unseren jeweiligen Religionen das Verhältnis von Gewalt und Gerechtigkeit definieren, und weitere Themen, die hier bereits angespro-chen worden sind. Ich glaube, dass wir als Religionsgemeinschaften und als glaubende Menschen etwas stiften können. Aber es wird an der morali-schen Autorität, am Ansehen, was wir uns in diesen Gemeinschaften, in denen wir hier in Deutschland leben, erarbeiten können, liegen, ob es uns gelingt, etwas beizutragen zum besseren Zusammenleben, oder ob wir die Grenze sein werden, an der gesagt wird: Das sind die Christen, das sind die Juden, das sind die Muslime, das sind die Hindus, das sind die Buddhisten.

Priester N. Wolper, Russisch-Ortho-doxe Kirche in Hamburg

Da die Redner vor mir schon vieles vorweg genommen haben, was ich sagen wollte, kann ich meinen Vortrag nicht wie geplant halten. Aber es sind einige Stichworte gefallen, auf die ich nun eingehen möchte. Ich möchte abweichend von meiner ursprünglichen Planung eine Überschrift über meinen kurzen Beitrag setzen. Meine Stellung ist eine ganz besonde-re. Ich gehöre einer Minderheit des Christentums an, und innerhalb dieser Minderheit nochmals einer Minderheit, denn es gibt nur wenige Deutsche in der russisch-orthodoxen Gemeinde. Dies ist wichtig bei der Mitteilung einiger Erfahrungen, die mit der Inkulturation zusammenhängen. Ich möchte als Überschrift nehmen „Die Verantwortung in der Diaspora“. Das ist ein Problem, das die Minderheitsreligionen haben. Die Orthodoxen sind ja noch mehr Minderheit als die Muslime in Deutschland. Etwa eine Million Orthodoxe gibt es in Deutschland. Speziell die russischen Immigranten haben ja das Problem, dass sie bis vor wenigen Jahren als Kirche in ihrem Land unterdrückt wurden. Was heißt Verantwortung in der Diaspora? Das hat zwei Aspekte, die auch beide schon angesprochen wurden.

Der eine ist die Verantwortung der eigenen Tradition gegenüber. Da gibt es eine große Angst vor der Verwässerung, vor dem Einfluss der säkularen Welt mit ihren andern Normen, mit denen man hier konfrontiert wird. Das Problem haben die Muslime genauso wie die Orthodoxen. Diese Angst hat mehrere Gründe, sie hat auch die Gründe, dass man das Phänomen der „Über-Integration“ beobachten kann. Das beobachten die, die schon sehr lange hier sind, die schon in den 50er, 60er, 70er Jahren hier nach Deutschland gekommen sind und nun also ihre Nachkommen und Kindeskinder sehen, die zum großen Teil diese Tradition ja nicht mehr pflegen, sondern sich so weit integriert haben, dass sie jenen Wertvorstellungen von Individualismus, Libertinage und Konsumismus und was immer so als Schreckgespenst genannt wird, sehr deutlich und sehr überzeugt frönen und von der Religion ihrer Väter und Vorväter nicht mehr so viel wissen wollen. Das Problem haben natürlich die Immigranten, die jetzt gerade kommen, nicht. Also gilt es: Wie kann ich meine Überzeugung so vermitteln, zunächst einmal an die eigenen Nachkommen, dass es authentisch bleibt.

Der zweite Aspekt der Verantwortung in der Diaspora: Die Weltreli-gionen, zumindest Islam und Christentum, haben sich immer als mis-sionarisch verstanden. Wenn man von der Wahrheit dieses Glaubens überzeugt ist, hat man den Auftrag, allen Menschen die Wahrheit zugänglich zu machen. Also Lessing, der hier mit seiner Ringparabel zitiert wurde, ist dafür überhaupt kein Modell. Diese Art von Toleranz ist keine religiöse Haltung, denn Sie können schlechterdings nicht ernsthaft einen bestimmten Glauben leben, ohne von der Wahrheit dieser Formen und vor allem Inhalte überzeugt zu sein; d. h. ich rede von der Lebens-form, die ein Glaube bedeutet, nicht von der intellektuellen Beschäftigung damit, Religion ist eine Lebensform, keine intellektuelle Konstruktion, auch keine Hypothese über die Welt, sondern ist etwas sehr Konkretes, das Formen und Inhalte hat. Die großen Vorbilder dieser Religionen sind die Glaubenszeugen, die gibt es muslimisch und christlich. Im Bereich der russischen Kirche gibt es sehr viele Glaubenszeugen, d. h. Märtyrer im 20. Jahrhundert. Man muss davon überzeugt sein, dass Richtige zu glauben, sonst würde man sich ja bemühen, das Richtige zu finden.

Das war die Haltung von Lessing, der einmal sagte: „Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich die Wahrheit gefunden habe. Mein Streben ist, die Wahrheit zu finden, und Gott bewahre mich davor, sie jemals zu finden. Denn dann werde ich hochmütig und verabsolutiere dann meine Wahrheit.“ Das ist keine religiöse Haltung. Das ist eine sehr ehrenwerte Haltung, aber keine religiöse. Erzpriester Ambrosius Backhaus hat in diesem Zusammenhang gerne ein Bild benutzt, und ich möchte das jetzt zitieren. Er hat gesagt, das ist wie in der Ehe. Sie können schlechterdings nicht ihren Ehepartner wirklich lieben und gleichzeitig relativieren. Liebe ist absolut. D. h. aber nicht, dass ich jetzt dem anderen seine Liebe zu seinem Lebenspartner streitig machen will. Also dieser Respekt davor, dass der andere mit gleicher Überzeugung seinen Glauben lebt wie ich selbst, ist zivilisatorischer Grundkonsens. Aber das darf nicht zu einer inhaltlichen Relativierung führen.

Was man erwarten muss, ist das Bekenntnis zur Verfassung und ist das Bekenntnis zum zivilisatorischen Grundkonsens, dass man sozusagen sagt: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu. Das in der eigenen Religionsgemeinschaft zu vermitteln ist wahrscheinlich auch schon eine große Leistung. Jetzt haben Sie aber als jemand, der die Verantwortung in der Diaspora spürt, natürlich auch die Pflicht, ihren Glauben zu bekunden. Nicht nur in den Mauern eines Ghettos authentisch zu bewahren, wie manche meinen, das wäre die Lösung, sondern ihn zu bekunden. Mann muss sich also öffnen, man muss die Türen öffnen, wie dies hier heute gemacht wird, und wie die Kirchen das machen. Das einzi-ge Medium oder Vehikel, um überhaupt Kontakt mit der Welt, in der man lebt, und von der man Zeugnis ablegen will, zu pflegen, ist natürlich die Sprache. Die deutsche Sprache muss als legitimes Mittel in ihrem Religi-onsvollzug zugelassen werden. Das ist leichter gesagt als wirklich getan, denn die Formen, auch die sprachliche, ist nicht ganz losgelöst vom In-halt. Das Christentum hat es etwas leichter, weil es immer schon mit Übersetzungen gearbeitet hat. Es gibt da nicht die verbindliche Urform, abgesehen von der Septuaginta für die Kirchen, jedenfalls für die orthodo-xen, aber immer schon hat es eine Übersetzung gegeben mit allen Schwierigkeiten. Im Islam ist das etwas schwieriger, der authentische Qur’an ist arabisch. Alles andere ist eine Konzession. Es geht aber auch um den religiösen Vollzug. In welcher Sprache beten Sie denn? Und wenn Sie neu in einer Gesellschaft ankommen, da kann man schlecht verlangen, dass die nun alle deutsch beten, und das Problem haben wir in der russischen Gemeinde. Andererseits müssen sie diese deutsche Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist und in der sie nicht fühlen und denken, etablieren, weil sie sich sonst nicht ernsthaft öffnen können. Das ist ein Problem.

Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Hamburg hat 50 Jahre Erfahrung damit. Es gab Zeiten, in denen die Deutschen die Mehrheit waren und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind die Deutschen in der Minderheit und müssen jetzt dafür werben, dass dieses Problem der Inkulturation auch mit der Sprache zu tun hat. Das Problem ist auch, dass man glaubhaft machen muss, dass diese Inkulturation die Substanz des Glaubens nicht gefährdet. Das ist schon schwierig im Kontakt mit den anderen Christen und erst recht schwierig im Kontakt mit anderen Religio-nen. Ein nichttrinitarisches Christentum geht z. B. nicht, und da ist dann auch eine Grenze in der Begegnung mit den beiden abrahamitischen Reli-gionen.

Wenn Integration heißen soll, um des lieben Friedens willen seinen Wahr-heitsanspruch aufzugeben, hat sie keine Chance bei denen, die ihre Religi-on ernst nehmen. Ich gehe aber davon aus, dass es nicht so gemeint ist. Wenn es heißt, sich zu einigen auf den Minimalkonsens eines wechselsei-tigen Respekts, so wie man auch den anderen Ehepartner respektiert, ist das andererseits wieder kein großes Problem. Aber dieses Problem mit der deutschen Sprache, mit der Versöhnung mit der Wirklichkeit dieser säkular geprägten Gesellschaft, in der die Minderheiten leben müssen, ist ein Dauerproblem, und da ist die Lösung auch nicht in Sicht.

Ayatollah S. A. Ghaemmaghami, Leiter und Imam des Islamischen Zentrums Hamburg

Ich bin der Auffassung, dass die Glaubensvorstellungen eines Menschen Teil seiner individuellen Persönlichkeit sind, und wenn der Mensch das Gefühl hat, dass seine Glaubensvorstellungen nicht akzeptiert und nicht als Teil seiner Persönlichkeit respektiert werden, dann wird er sich abkapseln und aus der Gesellschaft zurückziehen. Meiner Meinung nach sind die Sozialisation des Individuums und seine Einbeziehung in die Gesellschaft eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen der Integration. Um diesen Sozialisationsprozess zu fördern, muss man die individuellen religiösen Freiheiten akzeptieren und die religiösen Vorstellungen der Menschen respektieren; das sind die Voraussetzungen dafür, dass die Men-schen selbst auch die Bereitschaft entwickeln, sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Es ist zwar richtig, dass in einer auf der Gleichberechtigung ihrer Mitglie-der basierenden Gesellschaft, die Integration nur gelingen kann, wenn man die Persönlichkeit des Individuums respektiert, aber wir müssen auch be-denken, dass das nicht das einzige Kriterium für das Gelingen der Integra-tion ist. Die religiösen Ideen der Menschen können verschieden sein, und in einer Gesellschaft mit gleichberechtigten Mitgliedern stellt dies kein Problem dar, wenn diese Gesellschaft pluralistisch ist.

Was darüber hinaus für uns wichtig ist, sind nicht allein die religiösen Glaubensvorstellungen der einzelnen Menschen, denn selbst wenn wir diesen Glaubensvorstellungen absolute Priorität einräumen würden, wären wir nicht erfolgreich. Wichtig ist, dass wir jenseits aller unterschiedlichen religiösen Vorstellungen an der menschlichen Würde eines Menschen un-abhängig von seiner Religion, sei es Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus oder ein anderer Glaube, festhalten. Die Sicherung und der Schutz der menschlichen Würde sind ein Grundfundament, dessen Basis unterschiedliche Glaubensvorstellungen oder Religionen nicht erschüttern können. Der Prophet des Islam (Friede sie mit ihm und seinen Nachkommen) hat nach vielen Jahren der Schwierigkeiten und Bemühungen in Mekka nach seiner Auswanderung nach Medina eine islamische Gemeinschaft begründet und für diese Gemeinschaft einen Vertrag aufgestellt, der das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen regelte. Dieser Vertrag sollte verhindern, dass Konflikte zu Differenzen und zur Auflösung dieser Gemeinschaft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen führen. Der Prophet wollte mittels dieses Vertrages eine friedliche Koexistenz von Muslimen und Nichtmuslimen gewährleisten.

Dieses Abkommen besagte kurz folgendes: „Dies ist ein Vertrag von Mu-hammad, dem Propheten, zwischen den Gläubigen und Muslimen und denjenigen, die ihnen folgen, sich ihnen anschließen und sich mit ihnen bemühen: sie bilden eine einzige Gemeinschaft…“ Der erste Grundsatz dieses Vertrages lautete, dass Muslime und Nichtmuslime gemeinsam eine einige Gesellschaft bilden. Zweitens schrieb der Vertrag fest, dass die Nichtmuslime nach wie vor nach ihren eigenen Sitten, Gebräuchen und Traditionen leben dürfen: „Die Juden haben ihre Religion und die Musli-me haben ihre Religion.“ Drittens legte der Vertrag fest, dass die nichtmuslimischen Bündnispartner nicht unterdrückt werden dürfen, und dass die Muslime den Feinden der Juden keinen Beistand leisten werden: „Wer uns von den Juden folgt, dem stehen Hilfe und Unterstützung zu: ihnen wird weder Unrecht getan, noch wird gegen sie Unterstützung gewährt.“ Die Juden sollten also ihre eigene Religion bewahren, wie auch die Muslime die ihrige. Sie wurden beide als eine einige Gemeinschaft verstanden.

Nach unserem Propheten Muhammad ist das bloße Menschsein der aller-wichtigste Aspekt für den Menschen und nicht seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern: Muhammad nahm einmal am Begräbnis eines Nichtmuslims teil. Es gab Muslime, die ihn deshalb befragten und Einwände dagegen erhoben, da der Verstorbene ja kein Muslim gewesen sei. Daraufhin sagte Muhammad: „Er war vielleicht kein Muslim, aber war er denn kein Mensch?“

Man muss jedoch in aller Deutlichkeit feststellen, dass es ein Tragödie ist, dass die islamischen Extremisten nicht nach diesem Prinzip leben, sondern für sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensvorstellung wichti-ger ist als das Prinzip des Menschseins. Und gerade weil sie so denken erlauben sie sich auch, mittels Gewalt und Brutalität das Leben unschuldi-ger Menschen aufs Spiel zu setzen. Es gibt in allen Religionen Extremis-ten, aber diese Extremisten sind nicht die Vertreter ihrer Religionen. Auch unter uns Muslimen gibt es Extremisten, aber das, wofür sie eintreten, steht dem Geiste des Islam diametral gegenüber. Eines möchte ich hier noch hinzufügen: Dass die Fundamentalisten und Extremisten sich als die wahren Vertreter des Islam verstehen, ist ihre eigene Sache. Es ist jedoch zutiefst zu bedauern, dass die von den Extremisten vertretenen Ansichten von vielen westlichen Medien mit dem Islam und mit dem Geist des Islam gleichgesetzt werden. Dieses falsche Verständnis und diese Gleichsetzung ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Integration. Die Extre-misten versuchen, sich die Emotionen von Muslimen zunutze zu machen. Sie wollen den Muslimen weismachen, dass der Westen gegen den Islam und gegen die Muslime gerichtet ist und sie propagieren ihre Ansichten unter den Muslimen. Wir müssen also Widerstand leisten, und wir müssen diese Gegner mit unserem Widerstand und unserer Gegnerschaft bekämp-fen und uns verteidigen.

Die Verantwortlichen und Entscheidungsträger in dieser Gesellschaft dür-fen nicht zulassen, dass diese Form des Kalten Krieges gegen die Muslime fortdauert, damit die Extremisten keine Möglichkeit finden, die Emotionen der Muslime für ihre üblen Ziele zu instrumentalisieren. Die Extremisten treten allein für die Politik und das Ziel ein, bei den Muslimen ein Gefühl der Ablehnung entstehen zu lassen, so dass sie sich abkapseln und aus dieser Gesellschaft zurückziehen.

Die Integration ist ein Prozess, der vor allem auf Verständigung, Mä-ßigung und Vernunft basiert. Integration ist kein statisches Projekt, das verwaltet werden muss, sondern es ist ein dynamischer Prozess, der vorangetrieben werden muss. Bei diesem Integrationsprozess gibt es eine unabdingbare Voraussetzung, und das ist die Partizipation aller Gesellschaftsmitglieder. Wir sind der Auffassung, dass die Partizipation und Teilhabe der Muslime an diesem Integrationsprozess eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen ist. Integration ist kein statisches Konzept, und die Muslime sind keine Figuren, die man auf einem Brett hin- und herbewegen kann. Integration ist ein lebendiger Prozess, der davon lebt, dass die kompetenten und verantwortlichen Menschen in dieser Gesellschaft dafür sorgen, dass die Beziehung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen intensiviert werden und dass die bestehende falsche Kluft, die keine echte Kluft zwischen den Muslimen und dieser Gesellschaft ist, beseitigt wird.

Was die Integration der Muslime in diese Gesellschaft aus islamischer Sicht anbelangt, möchte ich betonen, dass diese Integration erst dann ge-lingen kann, wenn man die gemeinsamen Elemente zwischen dem islami-schen Denken und dem Denken dieser Gesellschaft erkennt, sie deutlich macht und vorstellt, und ich vertrete die Auffassung, dass wir viele ge-meinsame Elemente haben. Ich möchte diese gemeinsamen Elemente auch benennen: Auf der einen Seite propagiert der Islam Mäßigkeit und Tole-ranz, und auf der anderen Seite sind Demokratie, Pluralismus und Ver-nunft Bestandteile der westlichen Gesellschaft, und ich sehe zwischen diesen Elementen keine Differenzen.

Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass gerade der Säkularismus der deutschen Gesellschaft ein Segen für die Muslime ist, denn er unterstützt uns, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der islamischen Gebote Vorschriften sind, die das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und Gott betreffen, das keinerlei vermittelnder Instanzen bedarf.

Dieses Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht so weit, dass der Mensch selbst in seinem Schweigen, in seiner scheinbaren Passivität, ein direktes Verhältnis zwischen sich und Gott herstellt.

Ein Sonderfall im Islam ist die Familie. Sie stellt eine Ausnahme dar, d. h. für eine islamische Familie gibt es andere Regeln, Vorschriften und Traditionen. Diese Besonderheit der islamischen Familie soll akzeptiert und respektiert werden. Davon abgesehen sind jedoch die überwiegende Mehrheit der islamischen Vorschriften mit Demokratie vereinbar, und ich habe das in meinen Freitagsansprachen oft betont, dass diese islamischen Vorschriften nicht im Widerspruch stehen zu Demokratie und den gesellschaftlichen Gegebenheiten in diesem Land. Was der gesunde Menschenverstand als Sitten und Traditionen einer Gesellschaft versteht, respektiert und beachtet der Islam als Sitten, Gebräuche und Traditionen dieser Gesellschaft, und es ist die Pflicht eines Muslims, sich in einer nichtislamischen Gesellschaft nach den herrschenden Traditionen dieser Gesellschaft zu richten.

Die Erscheinung, die im Westen als Islamismus oder politischer Islam bezeichnet wird, ist etwas, was von den islamischen Extremisten immer wieder propagiert wird. Diese Sichtweise der Extremisten hat mit der reinen islamischen Lehre nichts zu tun, sondern steht vielmehr im Wider-spruch zur islamischen Lehre. Solche Ansichten, d. h. die Politisierung des Islam, sind ein Hindernis für die Integration der Muslime in diese Gesell-schaft.

Damit die Integration gelingt, und damit dieser Prozess vorangetrieben wird, ist die Rolle der Politiker zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie die Verantwortung von Persönlichkeiten der gesellschaftlichen Institutionen, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen und die die Meinung und Moral der Gesellschaft lenken. Ich bin der Auffassung, dass hier auch die Politik eine wichtige Rolle spielt, und wir sollten diese Rolle nicht vernachlässigen. Wir sind der Meinung, dass beide, also die Politik und die Vertreter der gesellschaftlichen Institutionen dafür sorgen müssen, dass der Prozess durch Partizipation weiter intensiviert wird.

Um diesen Prozess der Integration voranzutreiben, muss man auch andere Themen in die Diskussion einbringen, wie z. B. die Erörterung von Glau-bensunterschieden, Glaubensgrenzen, die Identität der Menschen, die eth-nische Zugehörigkeiten, die Unterschiede zwischen Traditionen, Moder-nismus, Pluralismus, Säkularismus usw., dies sind wichtige Themen, über die in diesem Kontext ausführlich diskutiert werden muss, und das wäre eine Aufgabe für die Damen und Herren, die in diesem Land als Denker, Meinungsmacher und als kreative und engagierte Menschen etwas errei-chen wollen.

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